38. Nephrologisches Seminar in Heidelberg Antikoagulation bei chronischer Niereninsuffizienz – Stand 2014 Gerd Hetzel, Düsseldorf Die effektive Antikoagulation bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz ist ein Thema, dass angesichts der dürftigen wissenschaftlichen Datenlage häufig zu Unsicherheiten im klinischen Alltag führt. Ganz im Fokus der aktuellen Diskussion stehen zwei Themen: Zum Einen die Abwägung von Nutzen und Risiko der Vitamin-K-Antagonisten bei Hämodialyse-Patienten, zum Anderen die Frage von Sicherheit und Effektivität der so genannten Neuen Oralen Antikoagulantien (NOADs) – richtiger wäre die Bezeichnung „direkt wirkende orale Antikoagulantien“ - bei Patienten mit höhergradiger Niereninsuffizienz. Conferences Sollten Dialysepatienten überhaupt noch mit Marcumar behandelt werden? Es ist unstrittig, dass Dialysepatienten nach mechanischem Klappenersatz oder schweren thrombembolischen Ereignissen einer längerfristigen oralen Antikoagulation bedürfen, hier ist die Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten noch ohne Alternative. Die im Alltag viel umstrittenere Frage ist, ob Dialysepatienten mit chronischem Vorhofflimmern von einer Therapie mit Vitamin K-Antagonisten profitieren. Diese wirken indirekt über die Vitamin K-abhängige Bildung von Gerinnungsfaktoren in der Leber. Andere Stoffwechselwege sind allerdings ebenfalls Vitamin K-abhängig. Eine vermutlich hohe Bedeutung bei Dialysepatienten hat hier z. B. das Matrix-Gla-Protein in der Gefäßwand, dessen Hemmung vermutlich zum hohem Risiko der Mediaverkalkung im arteriellen Stromgebiet mit allen Folgen für die Gefäßelastizität und damit die kardiovaskuläre Stabilität beiträgt. Prospektive Daten zum Einsatz von Vitamin-K- Antagonisten bei Dialysepatienten mit Vorhofflimmern fehlen völlig. Die einzigen Aussagen zum Thema stammen aus Analysen großer Registerdaten. In diesem Jahr erschien eine Arbeit aus Kanada, die bei Beobachtung von 1.626 Dialysepatienten in den Jahren 1998 bis 2007 keinen Benefit der Warfarin-Therapie im Hinblick auf das Schlaganfallrisiko bei gleichzeitig erhöhtem Blutungsrisiko zeigt. Auch die Mehrzahl der früher erschienenen Analysen zeigt mit einer Ausnahme eher keinen Vorteil der oralen Antikoagulation mit Vitamin- K-Antagonisten [1]. Solange eine prospektiv randomisierte Studie fehlt, wird daher individuell zu entscheiden sein. Der CHADS-2-Vasc-Score bietet sicherlich keine Hilfe, da chronische Dialysepatienten bei Berücksichtigung dieses Scores eigentlich immer effektiv antikoaguliert werden müssten. Wie sicher sind NOADs bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz? Zur Zeit sind in Deutschland der oral wirksame direkte Thrombin-Inhibitor Dabigatran sowie die Substanzen Rivaroxaban und Apixaban als oral wirkende direkte Faktor Xa-Antagonisten zugelassen. Die Substanz Edoxaban steht kurz vor der Zulassung. Insgesamt hat die Verordnungshäufigkeit für diese Präparate in den letzten zwei Jahren erheblich zugenommen. Gleichzeitig sind Berichte über Blutungskomplikationen und Todesfälle in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt. Alle Substanzen haben eine relevante renale Elimination, so dass Nephrologinnen und Nephrologen zukünftig sicherlich häufiger in die Indikationsstellung einbezogen werden dürften. Dabigatran als oraler Thrombin-Antagonist hat mit 80 % die stärkste renale Elimination, Rivaroxaban und Apixaban als Faktor Xa-Antagonisten werden zu rund einem Drittel renal eliminiert. Entsprechend besteht eine strikte Kontraindikation zur Gabe von Dabigatran beim Patienten mit einer eGFR unter 30 ml/min, während für Rivaroxaban 26
Antikoagulation bei chronischer Niereninsuffizienz – Stand 2014 und Edoxaban Zulassungen in angepasster Dosis bis zu einer eGFR von 15 ml/min bestehen. Möchte man nun die Chancen und Risiken bei Patienten mit höhergradiger Niereninsuffizienz und insbesondere bei Patienten im CKD-Stadium IV abwägen, so muss zunächst betont werden, dass in sämtliche Outcome-Studien nur Patienten mit einer eGFR über 30 ml/min (Apixaban über 25 ml/ min) eingeschlossen wurden. Post-Hoc-Analysen können mittlerweile recht klar belegen, dass für Patienten in den CKD-Stadien I-III die Ergebnisse der Studien gelten. Das heißt vor allem, dass NOADs bei im Wesentlichen mit Warfarin vergleichbarer Reduktion thromboembolischer Ereignisse zu einer hoch signifikanten Reduktion intrakranieller Blutungskomplikationen beitragen. Wahrscheinlich muss eine höhere Inzidenz gastrointestinaler Blutungen in Kauf genommen werden. Diese Daten sind definitiv nicht auf Patienten mit einer eGFR unter 30 ml/min übertragbar. Hier existieren keine Outcome-Daten. Möglicherweise wird ein weiterer oraler Faktor Xa-Antagonist, Betrixaban, der nur noch eine renale Elimination von 17 % aufweist, in absehbarer Zeit auch für Patienten mit hochgradig eingeschränkter Nierenfunktion zur Verfügung stehen. Unter Berücksichtigung der Datenlage ist vor dem unkritischen Einsatz der neuen oralen Antikoagulantien bei Patienten mit instabiler Nierenfunktion oder Patienten im CKD-Stadium IV zu warnen. Bei der Abwägung könnten in Zukunft verbesserte Möglichkeiten des Monitorings sowie insbesondere die Verfügbarkeit verlässlicher Antidots eine größere Rolle spielen. Antidots sind weniger untersucht und standardisiert als bei oralen Vitamin K-Antagonisten. Die Gabe von Faktorenkonzentraten wie PPSB oder rekombinantem Faktor-VIIa (z. B. vor Lyse bei ischämischem Insult) kann sicherlich nur in enger Abstimmung mit einem Hämostaseologen erfolgen. Dr. med. Gerd Hetzel post@nierenpraxis.de Es ist aber zu hoffen, dass es in Zukunft neue Konzepte geben wird. So wurde im vergangenen Jahr ein rekombinant hergestellter modifizierter Faktor-Xa vorgestellt [2]. Dieser ist nicht in der Lage, Prothrombin zu aktivieren. Er bindet aber kompetitiv sowohl an direkt wirkende Faktor Xa-Antagonisten als auch an aktiviertes AT3. Es könnte damit irgendwann ein universelles Antidot für alle Heparine und direkt wirkende Faktor Xa- Antagonisten zur Verfügung stehen. Referenzen: 1. Shah M, Avgil Tsadok M, Jackevicius CA. Warfarin use and the risk for stroke and bleeding in patients with atrial fibrillation undergoing dialysis. Circulation. 2014 Mar 18;129(11):1196-203 2. Lu G, DeGuzman FR, Hollenbach SJ et al., A specific antidote for reversal of anticoagulation by direct and indirect inhibitors of coagulation factor Xa. Nat Med. 2013 Apr;19(4):446-51 Conferences 27
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