Nosokomiale Infektionen auf der Neuro-Intensivstation Aktuelle Datenlage und zukünftige Herausforderungen Lothar H. Wieler, Anna Stoliaroff, Berlin Nosokomiale Infektionen sind in den letzten Jahren mit der Zunahme multiresistenter Erreger in den Fokus geraten. Auf der Intensivstation (ITS) liegt die Rate der Infektionen aufgrund zahlreicher zusätzlicher Risikofaktoren, wie z. B. Compliancemängel bei der Hygiene, im Vergleich zu Patienten auf der Normalstation mehr als dreimal so hoch. Die größte Herausforderung stellen aktuell die rasch zunehmenden Antibiotika-Resistenzen, insbesondere bei den multiresistenten Gram-negativen Stäbchen dar. Zukünftig wird die Implementierung vorhandener Empfehlungen zur Prävention eine wichtige Rolle spielen. Hilfreich sind dabei Mitarbeiterschulungen und Checklisten. Die Etablierung von Antibiotic Stewardship-Programmen und der Ausbau entsprechender Fortbildungskapazitäten sind wichtige Aufgaben im Kampf gegen multiresistente Krankheitserreger. Epidemiologie Von den jährlich ca. 18 Millionen hospitalisierten Patienten erleiden ca. 5 % eine Infektion, das entspricht umgerechnet etwa 400.000 Patienten pro Jahr [1]. Auf der Intensivstation (ITS) liegt die Rate der Infektionen mit 18 % mehr als dreimal so hoch; auch der Antibiotikaeinsatz ist auf der Intensivstation doppelt so hoch wie auf der Normalstation (50 % der Patienten auf ITS versus 25 % auf Normalstation). und fast die Hälfte invasiv beatmet wird. Knapp 80 % der nosokomialen Infektionen auf der ITS sind device-assoziiert, dabei dient die Einstichstelle häufig als Eintrittspforte für Infektionserreger. Auf der Katheteroberfläche kann es zur Ausbildung eines Biofilms kommen, der es den Bakterien ermöglicht, sich dem Immunsystem zu entziehen. Als Risikofaktoren für Infektionen spielen − neben den oben genannten − patientenseitig Blasenentleerungsstörungen, wie sie besonders häufig bei Personalmangel und Einsatz von Aushilfskräften führen zu mangelnder Hygiene mit der Folge eines erhöhten Infektionsrisikos für die Patienten. ANIM 2016 Conferences Antibiotikaverbrauchs- und Resistenzdaten werden vom Robert Koch-Institut in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Referenzzentrum bundesweit gesammelt und veröffentlicht. Risikofaktoren Intensivpflichtige Patienten werden überdurchschnittlich häufig mit sog. „devices“ versorgt, z. B. Katheter und Drainagen. Daten des Nationalen Referenzzentrums (NRZ) zeigen, dass über 70 % der Patienten auf der neurochirurgischen Station einen ZVK haben, ca. 90 % einen Harnwegskatheter neurologischen und neurochirurgischen Patienten auftreten, als Dispositionsfaktor für Harnwegsinfektionen eine Rolle. Auch die in dieser Patientengruppe häufigen Bewusstseinsstörungen und/ oder Schluckstörungen können über Aspiration zu einem erhöhtem Risiko für eine Pneumonie führen. Die gut belegte Post-Stroke-Immunsuppression tritt bei einem Teil der Patienten nach frühestens 12 Stunden auf und führt zu einer erhöhten Pneumonie-Inzidenz. Sie wird als Gegenregulation der initialen Entzündungsreaktion verstanden [2-4]. Über einen Katecholamin-vermittelten Defekt der frühen Lymphozyten-Aktivierung kommt es 42
Nosokomiale Infektionen auf der Neuro-Intensivstation Abbildung 1: Knapp 80 % der nosokomialen Infektionen auf ITS sind device-assoziiert. zu einer Lymphopenie und Monozytenfunktionsstörung mit erniedrigten TNF - und Interferon -Spiegeln. Die Tatsache, dass ca. die Hälfte aller gesunden Personen im Schlaf aspiriert, ohne eine Pneumonie zu entwickeln und andererseits auch klinisch stumme Schlaganfälle das Pneumonie- Risiko erhöhen, stützt die Hypothese einer über die Aspiration hinausgehenden Ursache für die erhöhte Infektanfälligkeit [4]. In Studien an Mäusen, bei denen künstlich ein Schlaganfall erzeugt worden war, lag die Infektionsdosis zum Auslösen einer Pneumonie 1000-fach niedriger als bei gesunden Mäusen. Wurde bei den Schlaganfall-Mäusen das sympathische Nervensystem blockiert (z. B. mit Propranolol), traten dort weniger Infektionen auf als in der Kontrollgruppe ohne Propranolol [3]. Ein weiterer Risikofaktor, der gar nicht oft genug betont werden kann, sind Compliancemängel bei der Hygiene. Ein Beispiel ist die unzureichende Händehygiene vor Dekonnektion des ZVK sowie die fehlende Desinfektion der Zuspritzstellen (z. B. 3-Wege-Hähne) vor deren Benutzung. Personalmangel und Einsatz von Aushilfskräften führen zur Vernachlässigung der angemessenen Hygienemaßnahmen, was sich in einem erhöhten Infektionsrisiko für die Patienten niederschlägt [5-6]. Multiresistente Erreger Die größte Herausforderung stellen augenblicklich die rasch zunehmenden Antibiotika-Resistenzen dar. Insbesondere die Situation bei den multiresistenten Gram-negativen Stäbchen gibt Anlass zur Sorge. In mehreren Fällen kam es zu einem Plasmid-vermittelten Austausch von Resistenzgenen, teilweise über mehrere Bakterienspezies hinweg [7]. Bei den 3MRGN, die gegen drei von vier Antibiotika-Klassen resistent sind [8], insbesondere aber bei den 4MRGN gibt es nur noch wenige Therapieoptionen. Auch gegen eines der wenigen bisher durchweg wirksamen Reserveantibiotika, Colistin, wurde im November 2015 eine Plasmid-vermittelte Resistenz in Südchina beschrieben, die Ihren Ursprung in Nutztierbeständen hat [9]. Daraufhin durchgeführte Analysen bei Nutztieren in Europa ergaben ebenfalls Isolate mit diesem Resistenzmechanismus. Prävention Um dieser komplexen Problematik zu begegnen, wurde die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) berufen, deren Aufgaben im Infektionsschutzgesetz verankert sind. Die Conferences 43
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