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CONNEXI 2018-3 NEUROLOGIE

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INTERVIEW CONFERENCES

INTERVIEW CONFERENCES Therapien. Die Behandlung ändert sich nicht durch den Score. In das Programm der diesjährigen ANIM sind erstmalig „nachdrücklich“ Rehabilitationsmediziner einbezogen. Warum ist es für den Intensivneurologen wichtig zu wissen, was jenseits der Akutmedizin passiert, und ob die Akutbehandlung einen langfristigen Nutzen hat? Es ist natürlich ein Erfolg, wenn der Patient die Akuterkrankung zunächst übersteht. Aber der wahre Behandlungserfolg zeigt sich erst, wenn ein Patient in seinem späteren Leben wieder zurechtkommt. Gerade in der Neurointensivmedizin geht es um die Funktion des Gehirns, die so wesentlich auf die Lebensqualität Einfluss nimmt. Und das Gehirn erholt sich von einer Akutattacke eben erst innerhalb von Wochen, manchmal Jahren. Leber, Niere, Herz funktionieren auch dann auskömmlich, wenn sie halb wieder hergestellt sind. Auf Teile seiner Hirnfunktion möchte niemand ohne weiteres verzichten. Inwiefern hat dieses Wissen Einfluss auf Entscheidungen in der Akutbehandlung? Menschen formulieren Ihre Befürchtungen in Vorabverfügungen, die zu beachten sind. Um sie zu beraten, müssen wir tragfähige Auskünfte zur Prognose geben können, und zwar weniger zu der kurzen Intensivbehandlung, sondern zu dem, was langfristig zu erwarten ist. Nur auf Basis einer soliden Prognosestellung kann ein Patient bzw. sein Vertreter einer Behandlung zustimmen oder nicht. Gibt es prognostische Marker? Wesentlich ist der klinische Befund und wie er sich im Verlauf entwickelt. Das macht es in der Neurologie so kompliziert. In anderen Fachgebieten kann man oft den Endpunkt Tod nehmen oder eine bestimmte Komplikation. Wie können Rehabilitationsmediziner einbezogen werden? Wir brauchen ganzheitliche Konzepte, die die Versorgungsstrukturen übergreifen. Rehabilitation muss am ersten Akutkrankheitstag beginnen, und die Rehabilitationskliniken müssen begonnene Konzepte weiterführen. Zunächst gilt es, Datensätze kommunizierbar aufeinander abzustimmen, so beginnt epidemiologische Verbundforschung. Neue technische Verfahren bieten immer bessere Behandlungsmöglichkeiten schwerstkranker Patienten. Sehen Sie auch, wie es kürzlich auf dem Symposium für Intensivmedizin + Intensivpflege in Bremen diskutiert wurde, die Gefahr einer Überversorgung auf Intensivstationen? Diese Diskussion gibt es, seit es Intensivmedizin gibt und im Übrigen auch überall dort, wo neue Behandlungsmöglichkeiten entstehen. Der Gegenspieler dieser Befürchtung ist, dass Patienten etwas vielleicht Nützliches vorenthalten wird. Die negative Konnotation von Überversorgung beruht auf der Befürchtung, dass das Mögliche besinnungslos und unreflektiert eingesetzt wird. Das spitzt sich heute vielleicht besonders zu, wenn es um gut honorierte Entgelte geht. Es gibt wohl keinen Zweifel daran, dass wir erstens solide Evidenz für Prognosemarker brauchen und zweitens sehr gut ausgebildete Ärzte mit ausreichend Zeit zum Nachdenken über ihre Patienten, die dieses Wissen dann auch weise einsetzen. Wenn das der Fall ist, gibt es keine Überversorgung. 40

THROMBO-INFLAMMATION Thrombozytäre Adhäsionsrezeptoren als Targets Bernhard Nieswandt und Irina Pleines, Würzburg Die Adhäsion und Aggregation von Thrombozyten an Gefäßverletzungsstellen ist von höchster Bedeutung für die normale Hämostase; unter pathologischen Bedingungen können jedoch thrombotische Gefäßverschlüsse und damit Vorfälle wie Herzinfarkt oder Schlaganfall die Folge sein [1]. Thrombozytenaggregations-Hemmer nehmen eine zentrale Rolle bei der Behandlung und Prophylaxe solcher akut ischämischer Erkrankungen ein. Thrombozytäre Adhäsionsrezeptoren sind in den vergangenen Jahren in den Fokus getreten, weil wegen des erhöhten Blutungsrisikos bei der Blockade der Thrombozytenaggregation nach wie vor Bedarf an therapeutischen Alternativen mit möglichst großer antithrombotischer Wirkung bei gleichzeitig geringstmöglicher Beeinträchtigung der Hämostase [2] besteht. Vor allem Acetylsalicylsäure (ASA) und ADP- Rezeptorantagonisten (z. B. Clopidogrel) werden breit eingesetzt. Diese unterbinden die autokrine/ parakrine Verstärkung der Thrombozytenaktivierung durch die freigesetzten Mediatoren Thromboxan A2 (TxA2) bzw. ADP und begrenzen somit vornehmlich das Thrombuswachstum. Eine Besonderheit von ASA und Clopidogrel ist, dass die Ziel- Proteine in Thrombozyten irreversibel gehemmt werden, so dass die antithrombotische Wirkung für die gesamte zelluläre Lebensdauer (ca. zehn Tage) erhalten bleibt. Da TxA2 und ADP jedoch auch für die hämostatische Thrombozytenfunktion essenziell sind, geht ihre Blockade mit einem inhärent erhöhten Blutungsrisiko einher. Somit besteht nach wie vor Bedarf an therapeutischen Alternativen mit möglichst großer antithrombotischer Wirkung bei gleichzeitig geringstmöglicher Beeinträchtigung der Hämostase [2]. Hierbei sind in den vergangenen Jahren thrombozytäre Adhäsionsrezeptoren in den Fokus getreten. GPVI-Blockade verhindert Thrombusbildung Der Prozess der Thrombusbildung ist äußerst komplex und wird durch eine Vielzahl von Membranrezeptoren streng reguliert. Ist die Gefäßwand im Zuge einer traumatischen Verletzung oder durch Ruptur einer atherosklerotischen Plaque beschädigt, werden subendotheliale Kollagene für zirkulierende Thrombozyten und andere Komponenten des Blutes „sichtbar“. Das adhäsive Plasma- Glykoprotein von Willebrand Faktor (vWF) wird daraufhin auf Kollagenen immobilisiert und dient so als Ligand für seinen Thrombozytenrezeptor, das Glykoprotein (GP) Ib (Abbildung 1). Die vWF-GPIb Interaktion ist reversibel und ermöglicht vornehmlich die initiale Rekrutierung und das „Abbremsen“ der Thrombozyten. Erst im folgenden Schritt können andere Rezeptoren effektiv mit Ihren Liganden in der verletzten Gefäßwand interagieren. Eine zentrale Funktion kommt hierbei dem Kollagenrezeptor GPVI zu [3]. GPVI weist Ähnlichkeit mit Fc-Rezeptoren auf Immunzellen auf und löst nach Ligandenbindung über eine Tyrosin-Phosphorylierungskaskade starke zelluläre Aktivierung aus. Diese Aktivierung ist Voraussetzung für die funktionelle Aufregulierung („inside-out“ Aktivierung) von Adhäsionsrezeptoren der Integrinfamilie, die dann feste Adhäsion und Aggregation der Zellen vermitteln (Abbildung 1). Bereits im Jahr 2001 haben wir die weltweit ersten monoklonalen Antikörper (mAK) gegen GPVI generiert (JAQ1, JAQ2, JAQ3) und setzen diese für eine umfassende funktionale Charakterisierung des Rezeptors an Mausthrombozyten ein. Wir konnten zeigen, dass GPVI essenziell für die Thrombozyten- Kollagen-Interaktion ist und seine funktionale Blockade die kollageninduzierte Thrombusbildung unter Flussbedingungen in vitro nahezu völlig verhindert (reviewed in [3]). CONFERENCES 41

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