RELIGION UND PALLIATION Palliativmedizin und Begleitung von Patienten mit muslimischem Hintergrund Aiman Mazyek, Köln © Shutterstock/ESB Professional Da wir nun über vier Millionen Muslime in unserem Land haben, ist es auch von Nöten zu wissen, wie der Islam zu Krankheit, Sterbebegleitung, Sterbehilfe steht. In den nun weiteren Ausführungen beziehe ich mich deshalb auch auf die Handreichung des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD) „Sterbehilfe im Islam“. Die Diskussion um Sterbebegleitung, aktive und passive Sterbehilfe, sowie ärztlich assistierten Suizid ist in den letzten Jahren weltweit und in allen Kulturen und Gesellschaften laut geworden. CONFERENCES Die Befürworter der aktiven Sterbehilfe, des selbstbestimmten Sterbens, haben ihre Argumente in Bezugnahme auf ihr Menschenbild vorgebracht. Die Gegner der Sterbehilfe weisen warnend auf die Entwicklungen in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hin: Dort stand am Anfang eine seriöse Erörterung der Frage, ob man unheilbar kranke Menschen von ihrem Leiden erlösen dürfe. Die Gegner selbstbestimmten Sterbens sind der Auffassung, dass man Menschen ihre Leiden, Sorgen und Ängste vor einem qualvollen Übergang vom Leben zum Tod mit gehöriger Zuwendung und den Möglichkeiten der modernen Medizin soweit nehmen oder lindern kann, dass sie an ihren Lebensumständen nicht verzweifeln müssen. Unter solchen Umständen erheben die Gegner Zweifel am Sterbewunsch und Suizidentschluss der Schwerkranken. Sie sehen die aktive Sterbehilfe als Zumutung für die Helfer und Angehörigen, befürchten die Entwicklung eines fragwürdigen Sterbehilfe-Geschäfts sowie ein „Mobbing zum Tode“ derjenigen Gesellschaftsmitglieder, die der Gemeinschaft lästig werden. Der Bundestag habe sich 2015 für das Verbot der organisierten Sterbehilfe ausgesprochen, dennoch flammt die Diskussion immer wieder auf, sicherlich auch weil viele unterschiedliche Herangehensweisen haben, unterschiedliche Werte dabei verfolgen, wie man bei der aktuellen Diskussion sieht, in der sich übrigens der Bundesgesundheitsminister erneut gegen 24
RELIGION UND PALLIATION die aktive Sterbehilfe ausspricht. Deswegen ist es wichtig zu wissen, welches Wertgerüst die Muslime verfolgen, nicht nur im Bezug auf Sterbebegleitung, auch Pflege, Krankheit etc. Das Leben mit allen Mitteln schützen Gott (Allah im Quran) hat das Universum und den Menschen erschaffen. Er hat den Menschen als vollkommenes Bild gestaltet und gewürdigt: „Wir haben den Menschen ja in schönster Gestaltung erschaffen.“ (Quran, Sure 95, Vers 4) „und wir haben ja die Kinder Adams geehrt…“ (Sure 17, Vers 70). Allah hat dem Menschen das Leben als Leihgabe und die Gesundheit als Geschenk und anvertrautes Gut gegeben. Demnach sollte der Mensch sein Leben und seine Gesundheit pflegen und bewahren. Obwohl jeder Muslim fest daran glaubt, dass jeder sterben muss und der Sterbeprozess Bestandteil des Lebens ist, muss er sein Leben und das Leben der anderen mit allen Mitteln schützen. Der Mensch darf sein Leben nicht gefährden, „… und stürzt euch nicht mit eigener Hand ins Verderben“ (Sure 2, Vers 195), und er darf auch sich oder andere Menschen nicht töten: „… Und tötet euch nicht selbst (gegenseitig). Allah ist gewiss barmherzig gegen euch.“ (Sure 4, Vers 29), „… und tötet nicht die Seele, die Allah verboten hat (zu töten), außer aus einem rechtmäßigen Grund! Dies hat Er euch anbefohlen, auf dass ihr begreifen möget“ (Sure 6, Vers 151). Der Prophet Muhammad hat bei seiner Abschieds-Pilgerpredigt in Mekka klar gesagt: „Ihr Menschen, wahrlich euer Blut (euer Leben), euer Eigentum und eure Ehre sind unantastbar, bis ihr eurem Herrn gegenübersteht; ebenso wie der jetzige Tag, der jetzige Monat und diese eure Stadt heilig sind.“ Al Gazzali (einer der bedeutendsten religiösen Denker des Islams) schrieb in seinem Standardwerk: „Die wahre Liebe und Vertrauen des Menschen an Gott stellen sich mit seiner Dankbarkeit und Geduld dar. Er dankt Gott für seine unzähligen reichen Wohltaten, u. a. das Leben und die Gesundheit. Er bleibt aber auch geduldig und standhaft, wenn er unter einem schweren Schicksal und bitteren Leiden, was der Fall ist bei einer schweren unheilbaren Krankheit, leidet.“ Umgang mit Leiden Aiman Mazyek a.mazyek@zentralrat.de Durch den Glauben an die Vorhersehung Gottes kann ein Muslim die Frage nach dem Sinn des Leidens, des Todes und einer schweren Krankheit verstehen, deren Ursprung und Wege zur Überwindung einen Zusammenhang haben. Eine Krankheit kann sowohl Folge einer klaren oder unklaren Ursache sein. Ein Muslim kann seine Leiden und die schwere Erkrankung einerseits als eine von Gott auferlegte Prüfung ansehen, deren Bewältigung von ihm Geduld und Beharrlichkeit verlangt. Er CONFERENCES 25
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