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CONNEXI 2019-8 Schmerz Palliativmedizin

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medizinisches Fachmagazin über Schmerz und Palliativmedizin, für Ärzte, mit retrospektiven Berichten vom Fachkongressen: Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2019

PERSONALE MEDIZIN

PERSONALE MEDIZIN Differenzierte Behandlung chronischer Schmerzpatienten mit Antidepressiva Roland Wörz, Bad Schönborn © Shutterstock/Evgeny Atamanenko CONFERENCES Das Modell der Nozizeption mit dem Schema einer schädlichen Einwirkung in der Körperperipherie und dem Ergebnis von Schmerzempfindung und -gefühl erscheint für akute, für Nozizeptor- und neuropathische Schmerzen angemessen. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl akuter, intermittierender und chronischer Schmerzsyndrome, welche andere Ansätze in Diagnose, Therapie und Prävention nahelegen. Dass psychische Störungen oft mit Schmerzwahrnehmungen einhergehen, die nicht über Nozizeption erklärt werden können, ist wissenschaftlich gut belegt. So finden sich bei etwa 60 % der depressiv Erkrankten Schmerzerlebnisse. Auch die verschiedenen Angststörungen wie generalisierte Angststörung, Panikstörung, posttraumatische Störung und Phobien gehen bei einem Teil der Betroffenen mit Schmerzempfindungen einher. Die Kategorie psychogener Schmerzsyndrome wurde in den jüngeren klassifikatorischen Vereinbarungen, der International Classification of Diseases (ICD der WHO) und des Diagnostic and Statistical Manual (DSM) of Mental Disorders der American Psychiatric Association, bedauerlicherweise aufgegeben. Gründliche Diagnostik erforderlich Die Komplexität vieler intermittierend auftretender und vor allem anhaltender Schmerzsyndrome mit somatischen, psychischen und sozialen Faktoren erfordert über die seit den 1970er-Jahren eingeführte biopsychosoziale Sicht [1] hinaus auch, dass die Auswirkungen chronischen Schmerzerleidens in diagnostische und therapeutische Überlegungen einbezogen werden [2]. Entsprechend ist vor der Behandlung von intermittierenden und speziell chronischen Schmerzen eine gründliche mehrdimensionale Diagnostik mit 8

PERSONALE MEDIZIN Erhebung der Biografie durchzuführen, zumal bei diesen Patienten gehäuft physische, psychische, soziale Traumatisierungen mit einer Disposition für chronische Schmerzkrankheiten zu finden sind [1]. Auf Angst und Depressivität in Vorgeschichte und Gegenwart ist zu achten. Auch lange Hospitalisierungen in der Kindheit und sexueller Missbrauch können eine erhöhte Bereitschaft für die spätere Entwicklung anhaltender somatoformer Schmerzkrankheiten setzen. Nach dem Stand der Wissenschaft sollte heute bei chronischen Schmerzpatienten mit kausal nicht aufhebbarem Leiden und damit verbundenen Einschränkungen die Folgen des Schmerzerleidens und auch der Umgang der Betroffenen damit beachtet werden. Maladaptives Coping besitzt eine erhebliche Bedeutung für das aktuelle Leiden mit Beeinträchtigungen in den verschiedenen Lebensdimensionen [3]. Während die früher übliche Empfehlung der Schonung überwunden ist, werden bei Schmerzpatienten in der kurativen Medizin und in der Begutachtung maladaptives Coping wie Fear Avoidance und Katastrophisieren nicht immer erkannt. Langzeitbehandlung mit Opioiden problematisch Patienten können bei dem Verhaltensschema „mäßiger Schmerz – Einnahme einfacher Analgetika, starker Schmerz – Opioidanalgetika“ zu Schaden kommen. Die undifferenzierte und unkritische Verordnung von Opioid analgetika hat in den letzten Jahren in den USA eine erschreckend hohe Zahl an Todesfällen durch Überdosierung zu einer schwerwiegenden Katastrophe werden lassen [4]. Die Zahl der Todesfälle durch verschriebene Opioidanalgetika hat die der Kokain- und Herointoten im illegalen Bereich in den USA im 21. Jahrhundert weit überschritten [5], sodass Umorientierungen zur Schadensvermeidung notwendig sind. Bei der Entstehung des Komplexes „Schmerzmittelüberkonsum, -missbrauch und Folgeschäden“ Priv.-Doz. Dr. med. Roland Wörz, M.A. Medizinethik woerz.roland@t-online.de spielen zwar viele Faktoren eine Rolle: hereditär angelegte oder erworbene Disposition, kausale und finale Ursachen, situative Einflüsse und finanzielle Interessen. Sie fallen in die Gebiete Erziehung, Justiz, Politik, Ökonomie und Ethik, doch auch in die Disziplin der Medizin, speziell Schmerzmedizin: Die Behandlung mit Analgetika ist zwar die wichtigste medikamentöse Methode, doch nur bei einem Teil der Betroffenen wirksam und angemessen, speziell bei monokausal verursachten akuten Schmerzen körperlichen Ursprungs. Als eine Komponente mehrdimensionalen Vorgehens bei komplexen Schmerzzuständen rücken Antidepressiva wieder in den Vordergrund humanen Bemühens. Differentialtherapie mit Antidepressiva Der seit den 1960er-Jahren bekannte analgetische Wert trizyklischer Antidepressiva (TCA) wurde durch später entwickelte Substanzen bei Nozizeptor- und neuropathischen Schmerzen statistisch nicht verbessert, doch besitzen die jüngeren Sub­ CONFERENCES 9

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